Libretto und Regie: Peter Lund, Musik: Wolfgang Böhmer
Premiere als "Rockoper" bei den Domstufen-Festpielen Erfurt am 10. Juli 2014
Verlag Felix-Bloch-Erben
JEDERMANN zum Reinhören:
https://www.dropbox.com/sh/hjxi9gdxw6m5zkk/AABPtZAZeApQbygNfJCY_MJka?dl=0
Einige Clips von der Aufführung auf der Domtreppe 2014:
https://www.dropbox.com/sh/quqwdinkk8nqn5x/AACo8nx6_12N0O6m74rZwVLRa?dl=0
Trailer des Theater Erfurt: Der "Mammon"-Song im Orchesterprobensaal:
https://www.youtube.com/watch?v=8lJ_PFC6v4k
Wikipedia Artikel zum JEDERMANN: https://de.wikipedia.org/wiki/Jedermann_(Rockoper)
siehe auch: Jedermann im Ordner Oper
"Jedermann" rockte mit über 30.000 Zuschauern die Domstufen
(Thüringer Allgemeine)
"Die Höllenfahrt" als Clip - Jedermann bekommt eine vom Teufel organisierte Freifahrt:
Das "Opening" als Clip - Brigitte Oelke unvergleichlich als weiblicher Tod:
"Jedermann" vorm Erfurter Dom: Den Gott zum Gärtner machen
Von Udo Badelt, tagesspiegel 16. Juli 2014
Nicht immer endet alles mit dem Tod. Manchmal beginnt es auch mit ihm. In Erfurt hat das Philharmonische Orchester kaum die ersten Takte gespielt, als sich Brigitte Oelke als Tod mit schwarzem Mantel aus einer Tür hoch über den Domstufen schiebt, an der Brust ein beachtlicher Fruchtbarkeitsbusen, der Hinterkopf furchterregend in die Länge gestreckt, als wolle Kostümbildnerin Ulrike Reinhard das Alien von HR Giger und die Nofretete zugleich zitieren.
Moment mal - der Tod? Lässt Hugo von Hofmannsthal den JEDERMANN, sein bekanntestes Stück, nicht mit Gott beginnen, einem Gott, der langsam in die Irrelevanz abrutscht (So han sie rein vergessen den Bund / den ich mit ihnen aufgericht hab / da ich am Holz mein Blut hingab")? Ja, aber das war natürlich auch schone eine Bearbeitung. "Original" ist bei diesem Stück kaum etwas. Anonym entstanden im Unfeld der altenglicschen "Morality Plays", ist der "Everyman" in der Renaissance vielfach um- und dann neu geschrieben worden, auch von Hans Sachs, bei dem sich dann wieerum Hofmannsthal freizügig bedient hat. Wenn Peter Lund und Komponist Wolfgang Böhmer jetzt bei den Erfurter Domstufenfestspielen den "Jedermann" mit neuem Text als Rockoper präsentieren, schreiben sie im Grunde die Tradition fort.
Der Tod wird hier zum großen Spielmacher. Zu demjenigen, der alles bewegt, oder, wie Jedermanns Mutter sagt: "Der Tod ist mir ein liebes Ding, weil er uns so zum Leben zwingt." Gott (Robert Worle), Teufel (Martin Schäffner), Mammon und all die anderen Allegorien sind da nur Statisten, die traulich beieinandersitzen, um zu erörtern, warum niemand mehr an sie glaubt. In einem knappen, klugen Text erläutert UdK-Professor Lund, dessen Arbeiten in Berlin mit schöner Regelmäßigkeit zu den Höhepunkten an der Neuköllner Oper gehören, warum er "Jedermann" aufpoliert hat. Das Stück, mit dem seit 1920 die Salzburger Festspiele eröffnet werden, hat nicht unbedingt dazu beigetragen, Hofmannsthals Ansehen unter Künstlern und Intellektuellen zu befördern. Die katholische Buß- und Erlösungsnebelwerferei sperrt sich seltsam unzeitgemäß und humorfrei (anders als der "Rosenkavalier", den Hofmannsthal zeitgleich schrieb) gegen das brodelnd-kreative Umfeld der Jahre vor dem Ersten Weltkrieg.
Gott ist eine Erfindung der Menschen
Lund treibt dem "Jedermann" jetzt alle katholischen Erlöserfantasien aus. Der Einzige, der wirklich real, faktisch und nachweisbar ist, ist der Tod. Gott hingegen: eine Erfindung der Menschen, seine Macht besteht darin, dass niemand weiß, dass er gegen den Tod machtlos ist. In Erfurt mutiert er zum greisen Gärtner, der mithilfe eines Heiligenscheins seine Identität zu erkennen gibt - wenn seine Hutkrempe golden aufleuchtet. Auch der zweite Gott, den sich die Menschheit geschaffen hat, der Mammon (als Tunte: Máté Sólyom-Nagy): nichts als ein gigantisches Missverständnis. Aufgewertet wird in Erfurt hingegen eine andere Figur: die von Hofmannsthal abschätzig "Buhlschaft" genannte Frau, Jedermanns Liebste. Sie verkörpert die Aufklärung, glaubt weder an Gott noch ans Geld.
Nadja Mchantaf vom Ensemble der Semperoper [später eine der zentralen Frauen der Komischen Oper Berlin] singt diese "Liebste" nicht nur betörend rauh, sie spielt sie auch - für eine Opernsängerin nicht selbstverständlich - genauso leidenschaftlich, mit Glut im Herzen, als slbstbewusst Entrüstete, die Jedermanns Heiratsantrag kontert: "Grad war ich noch ein Sünder, jetzt schon die Mutter deiner Kinder!" Musicalsänger Andreas Lichtenberger ist ein angemessen selbstverliebter Jedermann, dem es völlig logisch erscheint, dass sich im Leben alles zu seinen Gunsten gefügt hat - der aber etwas rasch zum reuigen Büßer umschlägt. ... Der Tod, inzwischen eine peitschenknallende Domina, gewährt die eine Extrastunde hier sofort. Bei Hofmannsthatl ist sie beinhart verhandelt.
"Rockoper" ist ein großes Wort. Ja, da sind die Strukturen einer Oper, Arien für jede Figur, Terzette, ein Quartet. Aber letztlich gefült mit musicalmäßig eingängigen Melodien, geprägt von einem dominanten Thema aus zwei Achteln und einer Viertel auf "Je-der-mann". Wolfgang Böhmer nimmt Anleihen bei Weill oder Schostakowitsch, die ja selbst dem Unterhaltungsgenre nicht abgeneigt waren. ...
Gütig blickt die gut ausgeleuchtete Kathedrale auf das Spektakel zu ihren Füßen. Erfurt, das sind ja auch: wuselige STraßen selbst abends (Dessau und Cottbus wären neidisch), chillende Menschen an der Gera, die an den Hängen des Thüringer Waldes entspringt und kurioserweise nicht durch die Stadt selben Namens fließt, eine in Ostdeutschland seltene, mediterrane Gelassenheit und Neigung, das Leben draußen zu leben. Wo kommt das her? Hat es doch mit der Religion zu tun? Erfurts Bistum war eine katholische Insel in der DDR. Wenn jetzt auf den Domstufen Gott eine Erfindung genannt wird und der Teufel ans Kreuz steigt, dann geht das wohl nur in dieser spezifischen Atmosphäre eines ostdeutschen Katholizismus. In Salzburg wäre das unvorstellbar. (tagesspeigel)
Neue Inszenierung des JEDERMANN in Nordhausen 2022
Das Theater Nordhausen inszenierte eine auf eine kleinere Orchesterbesetzung reduzierte Fassung als schrillen und geistreichen Comic in der Stadtkirche als Ausweichspielort. Regie: Tomo Sugao.
Premiere am 23. September 2022 in der St. Blasii Kirche Nordhausen.
Trailer des Theater Nordhausen