Zu den neuen Textfassungen Offenbach’scher Operetten von Wolfgang Böhmer
Operette heute
Die Lage des Genres Operette ist heute eher desolat. Sie ist generell zu einem Vergnügen der älteren Generation ab 50, wenn nicht sogar ab 60 geworden. Die Musicalbegeisterung von ca. 1985 bis 2005, die auch jüngeren Nachwuchs im Publikum erzeugt hat, ist an der Operette spurlos vorübergegangen. Die Erwartungshaltung an die Operette besteht in einer Art Sekt- und Sylvesterlaune, eine Art prickelnder, gehobener Stimmung für besondere Festtage. Auch das gilt nur für die ältere Generation, die Jüngeren feiern sich nicht in der Oper, sondern in den Clubs.
Das Interesse der Regisseure, namentlich der Schauspielregisseure, gilt weniger dem Genre selbst, vielmehr dessen Destruktion: Sie zerschlagen die Originale, um an den Bruchstellen evtl. neue Bedeutungen hervorblitzen zu lassen. In der Regel lieben diese Regisseure das Genre nicht, es ist ihnen nur Material.
Versuche, das Genre diesseits des Musicals als „musikalische Komödie“ mit neuen Stücken wiederzubeleben, gibt es meines Wissens nur an der Neuköllner Oper, Berlin. Autor dieser stets vor ausverkauftem Haus laufenden Versuche ist Peter Lund mit seinen Komponisten Thomas Zaufke und Wolfgang Böhmer (myself). Bezeichnenderweise werden diese erfolgreichen Stücke wie z.B. „Das Wunder von Neukölln“ oder „Elternabend“ kaum nachgespielt – eine „geniale Sackgasse“.
Offenbach heute
Was für die Operette allgemein, trifft für Offenbach verstärkt zu. Schafft es die Wiener Operette mit ihrer harmloseren, sahneseligen Spielfreude noch eher, ihren Platz im Repertoire zu behaupten, hat es Offenbach schwer: Er ist der kompliziertere Fall. Er zieht seinen Witz zwar auch aus der reinen Komödie, dem heiteren Spiel – aber zusätzlich aus der scharfen Gesellschaftssatire. Hier nicht nur historisch zu bleiben, sondern geschmackvoll aktualisierende Übersetzungen zu finden, ist eins der zentralen Probleme für Offenbach heute.
Warum überhaupt übersetzen?
Natürlich könnte man wie in der Oper, original singen lassen und mit Untertiteln für Verständnis sorgen. In diesem Falle würden zumindest Offenbachs Gesamtkunstwerk Sprache-Musik, vor allem die Spritzigkeit und Theatersicherheit seiner Musik gerettet. Allein – es soll ja gelacht werden! Kitzel und Lachen erfordern Direktheit, der Umweg über Historie und Untertitel schafft im besten Falle bildungsbürgerliches Schmunzeln.
Musik und Sprache
Das Problem der deutschen Sprache im Gesang ist, dass sie zwar sehr poetisch, aber im Vergleich zum Französischen z.B. ungeschmeidig ist. Mit Neid blickt man als Übersetzer auf die Nonchalance, mit der Offenbach die französische Sprache in Musik gesetzt hat: Hebungen und Senkungen sind flexibel, Freiheit in der Behandlung der Endsilben. Im Deutschen ist alles so, wie es ist – und kann auch nicht anders sein!
Oberstes Gesetz ist die Melodie! Einzig in rezitativischen Wendungen, bei Tonwiederholungen darf ich Silben hinzufügen oder streichen. Bei ausgesprochen melodischen Wendungen absolut verboten!!
Relative inhaltliche Freiheit
Wenn ich Melodie und Reimschema minutiös erfülle, habe ich als Übersetzer schon ausreichend zu tun. Es kostet jede Menge Schweiss und Zeit, da sorgfältig und unerbittlich genau zu bleiben.
Nun lässt sich an vielen Übersetzungen leider beobachten, dass zugunsten der korrekten Reime die natürliche Sprache derart verdreht wird, dass ein onkeliger, ungeschickter Effekt dabei herauskommt: Man ist bis zur Unverständlichkeit original! Meistens liegt der Grund in einer Überforderung: Die Übersetzer wollten nicht nur die Form (Melodie und Reim) korrekt bedienen, sondern auch noch den originalen Inhalt getreu übersetzen.
Es wird zweifach fatal: Der originale Witz, der mit soviel Aufwand gerettet wurde, wird vom heutigen Publikum oft nicht mehr verstanden, ist einfach nicht mehr witzig – und das auf Kosten eines sprachlichen Gewaltaktes, der Eleganz und Natürlichkeit zerstört. Meine persönliche Lösung: Grössere inhaltliche Freiheit! Nicht an den originalen Worten klebenbleiben! Das heisst nicht, dass man von nun an macht, was man will, ohne auf das Original zu schauen! Es heisst: Den Geist Offenbachs, den radikalen, scharfen, anarchischen Witz, die geistreiche, intelligente Unterhaltung zu retten durch grössere inhaltliche Freiheit.
Sänger oder Schauspieler?
Man fühlt sich wie Odysseus vor der Scylla und Charybdis: Für Schauspieler sind die sängerischen Anforderungen meistens zu hoch. Die Sänger bewältigen die Szenen nicht und können die Pointen nicht setzen. Und trotzdem müssen wir durch...
Es bleibt jedem Regisseur, jedem Intendanten überlassen, auf welcher Seite er den Akzent setzt: Musikalische Kulinarik oder Witz und Komödiantentum. (Ich kenne leider die traurige Wirklichkeit nur zu genau, in der ein Koreaner eine schwierige Textpointe in der schweren deutschen Sprache setzen soll: Sie wird gestrichen – oder falls nicht: vom Publikum nicht verstanden – oder, schon ein Glücksfall: sie wird verstanden, aber kein Lacher!)
Ich als Texter möchte auf jeden Fall eine Lanze für das Gesamtkunstwerk Offenbach brechen und der Tendenz im Musiktheater widersprechen, in dem die Szenen nur kleine, kurze Sprungbretter für die nächste Gesangsnummer bilden. Man muss sich zwar kurz, aber nicht zu kurz fassen. Und so habe ich den Szenen ihr Eigengewicht gelassen: sie müssen im Notfall auch ohne nachfolgende Musiknummer einen Sinn ergeben.
Offenbach – Eine Sache des esprit
Offenbach liegt mir sehr am Herzen. Es tut mir wirklich weh und mir schwillt der Kamm vor Wut, wenn ich sehe, wie Offenbach in Deutschland vielfach hingerichtet wird. Man könnte beinahe meinen, es stünde ein antisemitisches Konzept dahinter anstelle von Unwillen, Unfähigkeit oder einfach nur Faulheit oder fehlender Finanzen.
Zu seiner Zeit war er musiktheatralisch die Speerspitze der Popkultur, sozusagen der Rock’n Roll. Zusammen mit seinen Autoren bewegte er sich stets an der Grenze zum Verbotenen, ein bisschen anzügliches Rotlicht, politisches Kabarett und Comedy für das Bürgertum.
Offenbach’scher Humor ist anarchisch. Sein Witz und seine Satire können jeden treffen. Drei Namen fallen mir ein, die es an Schärfe der Satire, Eleganz und Niveau mit ihm aufnehmen können: Heinrich Heine, Kurt Tucholsky, Georg Kreisler. Als Jude und Schöpfer des unterhaltenden Musiktheaters ist er der eigentliche Gegenspieler Wagners.
Seine Operetten sind kabarettistisch, doch erschöpfen sie sich nicht im politischen Kabarett á la Dieter Hildebrandt: Viele Inszenierungen meinen, mit dem Nennen von Namen wie Svarovsky oder Helmut Kohl würden sie den Geist Offenbach’s erfüllen. Mitnichten – dann schon eher Bösartigkeiten á la Georg Kreisler oder absurde Comedy á la Monty Python oder bissige Charakterisierungen der Gesellschaft á la Gerhard Polt.
Offenbach’s Satire ist überdreht. Seine Musik ist es auch: In der überdrehten Motorik (ähnlich wie bei Rossini) liegt Komik. Aber auch Energie wie später im Rock’n Roll oder bösartiger im Punk. Der CanCan ist der unangetastet positive Kern bei Offenbach: Spass, Tanz, Rausch, Volksnähe. Auch hier ist er der absolute Gegenspieler zur gehobenen Langeweile Wagners.
Heute geht Offenbach’s Musik leider oft genug mit den onkeligen deutschen Texten aus dem 19.Jahrhundert baden. Zugegeben: In unserer Zeit, in der es auf der Bühne kaum noch Verbote gibt, ist es schwer, die Frechheit und satirische Schärfe des Originals zu erreichen. Man kann aber versuchen, die Inhalte und die anarchische Komik ernst zu nehmen. Dazu versuche ich mit meinen Textfassungen beizutragen.
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