Pariser Leben

La vie parisienne – Liebe in Zeiten der Unübersichtlichkeit

 

Paris ist das Babylon des 19.Jahrhunderts, das erotische Lustzentrum Europas. „Ja, in Paris, da ist man nicht so verklemmt wie im provinziellen Schweden, in Paris, da geht es erotisch sofort zu Sache...“

So sieht es zumindest Baron von Gondremarck – er ist zu allem entschlossen, hier wird er sich auf Biegen und Brechen amüsieren! Die Pariserinnen haben es ihm angetan, es sind nämlich einfache, nette und vitale Mädchen, die ihm da als Adlige und haute volée angeboten werden. Durch dumme Zufälle kommt der Baron jedoch nie zur Erfüllung seiner dringenden Wünsche.

Seine Frau ist da anders gestrickt: Paris ist für sie die Bildung, die Museen, die Oper, die anregende Gesellschaft. Sie absolviert den Marathon eines touristischen Bildungsprogramms – richtig glücklich ist sie aber, als sie auf der Strasse den französischen Staatspräsidenten trifft (ja, wir haben ihn vor Augen, den grossen Gigolo Sarkozy), der kurzerhand einen Tag mit der attraktiven Baronin verbringt.

 

Textbeispiel:

No.18 Rondo (Baronin): Paris ist wunderbar!

 

Baronin

Paris ist wunderbar und unbeschreiblich schön,

ich hab´ le President gesehn!

Er fuhr mit seiner Limousine en passent,

ich hab´ le President gesehn!

Und hinter ihm sassen Body Guards, tja, Männer!

So ganz in Schwarz, so stark und schön!

Er fuhr ganz nah an mir vorüber:

Ich hab´ le President gesehn!

 

Und plötzlich bremst die Limousine, er steigt aus,

der Präsident geht auf mich zu!

„Bon jour, Madame, darf ich den Tag mit Ihnen durch Paris,

die Arbeit wartet, mon chou-chou...“

Champs Elysée, wir spazierten und flanierten

Hand in Hand trés elegant!

Und man fragt sich, wer diese Frau wohl ist,

Monsieur le President?

 

 

Und an der Seine die Läden mit den Souvenirs,

wie soll ich sagen, so pittoresk!

Und Notre Dame und dann Pont Neuf und Tour Eiffel

Und Café Créme am Gare de l´Est!

Ich wusste nicht, dass er so klein ist!

Und ganz plötzlich springt er auf: „Attends!“

Und küsst mich leidenschaftlich auf den Mund,

ach, mein Monsieur le President!

 

Er küsst und küsst mich, und ich denk´, ob er wohl mich meint?

Ach, dieser Charme, tout ma facon!

Er ist zwar klein, doch der könnte was für mich sein!

Ach, mein Monsieur le President!

Er hebt mich hoch und trägt mich auf den Armen,

mein Gott, der Mann! Wie der das schafft!

Und alle jubeln, applaudieren:

„Unser Präsident, ein Mann mit Kraft!“

 

Wir laufen, rennen, tanzen durch die Tuilerien,

die Baronin und Monsieur le President!

„Komm, lass uns zusammen fliehen,

zusammen ziehen!“

Ich bin ganz nackt, ein langer Kuss!

 

Das muss Paris, das Paradies sein,

wir fliegen um den Eiffelturm!

Die Stadt der Liebe muss Paris sein!

Im Himmel von Paris!

Wir zwei im Himmel von Paris!

 

Und ganz zum Schluss kam er noch einmal auf mich zu,

und sagt: „Madame, erläuben Sie!“

(Break, gesprochen:

Und dann hat er mich geküsst auf die Mund und gesagt:

„Sie sind meine Sonne! – Vous etes ma soleil“)

Mein Gott, Paris, es ist so herrlich pittoresk

Und laissez-faire promiskuiv!

Das ist mein Paradies: Paris, mein Paradies!

 

Was die beiden schwedischen Touristen als Paris kennenlernen, ist allerdings die schnell zusammengezimmerte Fassung des verarmten Adligen Gardefeu (tja, Maitressen sind sehr teuer!): Das Hotel ist sein rasch umgebautes Stadthaus, die Pariser Gesellschaft seine rasch zusammengerufenen Freunde und Angestellten – der Pöbel spielt die grosse Gesllschaft mit nicht immer geschmackssicherem, doch immer herzlichen und vitalem Ergebnis.

Und da ist sie: Metella – die Pariserin! Ja, sie lebt halt vom Geld der Männer und muss sehen, wo sie bleibt. Und somit ist ein Gardefeu ohne Geld kein Mann mehr für sie. Sie ist – in Berlin würde man sagen, eine „Bordsteinschwalbe“. Bei Offenbach ist sie mehr: der Mythos der Pariser Halbwelt – vital, witzig, intelligent, melancholisch.

Und gerade bei dieser Frau will der tumbe Tor Gondremarck sein ehrgeiziges Ziel verwirklichen? Das kann nicht gutgehen – tut es auch nicht. Im finalen Maskenball soll er sie endlich treffen, endlich soll sie wahr werden, die ersehnte erotische Lustsituation! Er trifft aber nur – maskiert: seine Frau, die Baronin. In einem stillen Moment der Erkenntnis und der Vergebung finden sich die Partner neu wieder.

Das nämlich ist Paris: Ein Prüfung für die Ehe, ein Belastungstest für die Beziehung. Die beiden bestehen ihn, gehen aus dem Test mit Blessuren, aber gestärkt hervor und fahren heim nach Schweden – und wenn sie nicht gestorben sind, sind sie dort noch heute ein glückliches Paar.

„Pariser Leben“ ist wohl das Stück Offenbachs, das man am radikalsten erneuern muss – weil es schon damals ein Zeitstück war, und jede Zeit braucht eine neue Anstrengung, der Radikalität und Spritzigkeit des Originals wieder Leben einzuhauchen – unser Leben!!! Denn davon handelt es. Erneuerung heisst z.B.: Die Grenzen, wo etwas anzüglich ist, wo die Moral oder der Geschmack herausgefordert werden, müssen neu gezogen werden. Das „Oben“ und „Unten“, Aristokratie und Plebs müssen neu definiert werden. Wir brauchen dazu eine flüssige, zeitgenössische Sprache, die sich aber dem immer eleganten und geschmackvollen Gestus der Musik anschmiegt.

 

Textbeispiele

Triolet : Paris ist tot!

Bobinet

Paris ist tot, tja c´est la vie,

ich war verliebt in diese Stadt!

Was in Paris nun zählt,

ist einfach nur das Geld,

eine Manie!!

 

La vie de Paris so abgeschmackt

hat keinen Stil, ca m´ennuie!

Die grosse Liebe, c´est la vie,

aus und vorbei, Paris, cherie!

 

Wo sind denn die Pariserinnen

Avec l´esprit und mit Niveau?

Die nicht gleich auf dem Rücken liegen,

die Berlioz und Nietzsche lieben!

Wo sind bei den Pariser Frauen

Geist und Erotik und Esprit geblieben?

Was zählt in der Pariser Welt?

Es geht um Shoppen, F-Fff und ums Geld!

 

Paris ist tot, tja c´est la vie,

ich hab geschwärmt für diese Stadt!

Paris ist bloß Fassade,

ist totkrank, malade, c´est la vie!

Baguette und Rotwein, l´art pour l´art:

Das alles ist verlogen, lose!

Victor Hugo, la vie en rose:

´ne ganz und gar niveaulose Chose:

tja, c´est la vie

Paris ist tot, ma belle Paris! 

 

No.22 A: Rondo – Paris bei Nacht

 

METELLA

Ja, Paris bei Nacht

Ist eine andre Stadt als bei Tag

Wenn bei Nacht ein neues Leben erwacht!

 

Hier stirbt ein Sohn

Dort fällt eine Tochter

Und Väter und Mütter sind hilflos und stumm!

Sie suchen alle nur

Ein kleines Stück vom Glück!

 

Allegro vivo

 

Die Nacht versinkt im Suff und im Nebel,

Gesichter verschwimmen im Tanz und im Rauch.

Paris, ein Riesenpuff mit der Regel:

Wer Geld hat, ist glücklich – wer keins hat, fliegt raus!

 

Sie jagen das Glück,

sie kaufen und saufen und raufen

und fühl´n sich lebendig und stark.

Es gibt kein Zurück,

wer hier auf dem Weg ist,

der landet im Rausch und am Ende im Sarg.

 

Ja, die Nacht versinkt im Suff und im Nebel,

der Mond ist noch ganz, und der Mensch Dynamit.

Paris ist geschminkt mit der Maske des Lebens,

sie tanzen den Tanz und der Tod, der tanzt mit!

 

Frauen gibt´s wie Sand,

die Liebe kostet wenig.

Du suchst ein Gefühl,

mit wem, merkst du eh nicht!

Und schon dreht sich alles,

du willst mittendrin sein,

dann wird alles schwarz,

und du landest im Rinnstein.

 

Die Nacht versinkt im Suff und im Nebel,

wer jetzt nicht zuhaus´ ist, der hat kein Zuhaus!

Paris, es drückt sich das Gift in die Venen,

und tanzt den CanCan in den Himmel hinauf!

 

Vergiss uns nicht!

Wir woll´n doch nur leben!

Hast du uns noch lieb?

Schau auf dein Paris!

Lass uns nicht allein!

Gib uns jede Nacht einen Geliebten

Und schenk´ uns einen sanften Tod!

 

Die Nacht versinkt, im Osten wird´s rot,

und alleine und einsam gehst du durch die Stadt.

Dein Kopf, der hämmert, du fühlst dich halb tot

Und zum Weinen, alleine und klein wie ein Kind.

 

Und ein paar geh´n zur Arbeit, blinzeln mir zu:

„War wohl schön heute nacht! Aber ein bisschen zu ... hhmm?“

Es fängt an zu regnen, wo geht´s nach Haus?

Ach, Gott! Wir woll´n doch bloß ein klein bisschen Spass!

Ach, Gott! Hilf uns! Wir woll´n doch bloß ein klein bisschen Spass!