Madame l'Archiduc

Madame l’Archiduc – Politik und Dada

 

Madame l’Archiduc ist eins der ganz grossen Stücke Offenbachs, es gehört in seiner Schärfe und Satire zur Reihe „Die Banditen“, „La Perichole“ und der „Grossherzogin von Gerolstein“. Dass es weniger gespielt wird als die vorgenannten, ist vom Stück her nicht zu erklären – ist geschichtliches Pech.

Madame l’Archiduc ist ein Stück über die Absurdität politischer Herrschaft, über die Austauschbarkeit der politischen Pappnasen, die gerade zufälligerweise die Macht in den Händen halten – aber auch ein Abgesang auf alle politischen Revolutionen und Oppositionen. Das Brechtsche Lehrtheater mit seiner angeblich doch so aufklärerischen Wirkung ist dagegen eine protestantisch-asketische, frömmelnde Schulstube...

Was passiert?

Verschwörer treten auf: Sie wollen den Umsturz – er wird ihnen gelingen. Sie werden auf absurde Weise die Ministersessel ihrer Vorgänger einnehmen, die nun ihrerseits Verschwörer werden und darauf warten, wieder installiert zu werden, um wieder von den süssen Früchten der Macht naschen zu können.

Das Serviermädchen Marietta – eine der Offenbachschen Lichtgestalten aus dem einfachen Volk! Wir wohnen einer glücklichen, frühlingshaften Hochzeit der einfachen Leute bei: Man träumt von bescheidenen Flitterwochen, einer Hochzeitsreise für drei Tage beispielsweise ins Weserbergland... Aber daraus wird nichts. Denn aus dem Serviermädchen wird eine Erzherzogin – weil, ja weil es der amtierende Despot Ernesto in seiner anarchischen Launenhaftigkeit „originell“ findet. Das ist sein höchstes Ziel: als „originellster“ Herrscher in die Geschichtsbücher einzugehen...

Das Militär sorgt für Ordnung in der Geschichte, richtet zwischendurch Menschen hin, das Handwerk ist wie eh und je sehr blutig. Es wird angeführt von Fortunato, einer Hosenrolle, einer kleinen, porzellanhaften Figur, die für das Schöne, das Stilvolle, das Geschmackvolle in der Welt schwärmt – also auch für die schöne Marietta... Ansonsten übt er sein blutiges Handwerk leidenschaftslos und kalt aus, für welche politische Herrschaft auch immer...

Der originell abgedankte Ernesto verkleidet sich nun als einfacher Soldat, um so als Plebejer an Marietta heranzukommen (für die feinen Leute hat Marietta nichts übrig...) Es wird ihm nicht gelingen – einfach weil Marietta nicht auf Macht, sondern auf ihren frisch geheirateten Mann steht... Und das wird in einer Deutlichkeit und Einfachheit besungen, die in der Literatur nicht seinesgleichen hat....

Musikalischer Höhepunkt: das Alphabet-Sextett. Die Verschwörer nähern sich mit codierten Botschaften, merkwürdigen Buchstabenfolgen. Marietta war noch nie eine gute Schülerin, sie macht daraus eine dadaistische, sinnbefreite Nummer aus Buchstaben – das ist radikaler Nonsens, ziemlich modern – dabei auch musikalisch voller mozartischer Heiterkeit!! Chapeau, Maestro Offenbach!

Wie gesagt: Madame l’Archiduc gehört in die erste Reihe der Offenbach’schen Produktionen!! In Deutschland wird gern die GROSSHERZOGIN gespielt, weil in ihr noch ein Rest konkreten Politkabaretts enthalten ist – Theater mit antimilitaristischer, antipreussischer Message. (In Deutschland schätzt man die engagierte politische Ansage!) Madame l’Archiduc geht einen Schritt weiter: Hier wird die gesamte politische Welt ad absurdum geführt, die blutige Geschichte ist nur noch zum Lachen...

 

 

Textbeispiel 1: Der originelle Erzherzog


12 A . Choeur

 

Maestoso

 

Chor

Der Erzherzog geht gravitätisch,

denn jedes Aufseh’n liegt ihm fern!

Vier Kanonen knall’n majestätisch,

denn Hoheit hören es so gern!

Der Erzherzog isst diätetisch,

er isst Salat und kein Dessert!

Seine Wirkung ist sehr magnetisch,

er hat Kanarienvögel gern!

 

Allegro

 

Erzherzog

Hallo! Ich bin der Ernst, der Erzherzog im Land!

Wer mich nicht kennt, dem bin ich unbekannt!

 

1. Ein Herzog einem andern gleicht,

gewählt, ermordet, illegal.

Doch keiner mir das Wasser reicht,

ich bin und bleib’ original!

Mein Vater, ein normaler Mann,

erfolgreich, stark und auch brutal,

der an dem Fall nichts ändern kann:

War halt’ nicht original!

Die Maler hab’n mich portraitiert,

feingetuscht oder in Öl gemalt,

sie wurden alle inhaftiert:

Denn ich bin echt nur or’ginal!

 

Ja! Original, original, fatal! Das ist nicht oft der Fall!

Und gibt’s auch deshalb mal Skandal, das ist mir völlig schnurzegal!

Original, original, fatal! Das ist nicht oft der Fall!

Ich bin aus einem Material, das ist nun mal original!

 

2. Ich habe Anarchisten gern,

Terroristen sind mir ganz egal,

doch haltet mir die Christen fern:

Die sind halt nicht original!

Doch wenn ein Mädchen mir gefällt,

und sie nichts von mir wissen will,

dann ist verdunkelt mir die Welt,

ich weine in die Kissen still!

Um vom Regier’n auszuruhn,

leg’ ich den Staat für länger still,

doch habe ich dann nichts zu tun,

geh ich zur Arbeit, wann ich will!

 

Ja! Original, original, fatal! Das ist nicht oft der Fall!

Und gibt’s auch deshalb mal Skandal, das ist mir völlig schnurzegal!

Original, original, fatal! Das ist nicht oft der Fall!

Ich bin aus einem Material, das ist nun mal original!

 

 

Textbeispiel 2: Der kommandierende Knirps

8 C . Couplets du Petit Bonhomme

 

Marietta

1. Was für ein Mann, Milchbart am Kinn

und hinter den Ohr’n noch ziemlich grün!

So wahr ich eine Frau schon bin,

so ein’n Mann hab’ ich noch nie geseh’n!

Seht, seine Stiefel ganz ohne Dreck!

Oh, glänzen perfekt! So wahr mir Gott helf!

Im Knopfloch eine Blume steckt,

die riecht stark nach sieb’nundvierzig elf!

Und so was kommandiert euch rum!

Ich lach’ mich krumm! Seid ihr so dumm?

Ihr akzeptiert, dass so ein Zwerg euch kommandiert?

 

Ein kleiner Knirps, ein kleiner Knirps

Ein Knirps, der kommandiert euch rum!

Ein kleiner Knirps, ein kleiner Knirps

Der kommandiert, seid ihr so dumm?

 

Alle

Ein kleiner Knirps, ein kleiner Knirps

Ein Knirps, der kommandiert euch/uns rum!

Ein kleiner Knirps, der kommandiert!

Man führt euch/uns an der Nase rum!

 

 

Marietta

2. Der Souverän herrscht und regiert.

Er ist voll Witz oder verrückt,

wenn eine Frau er arretiert,

er so einen kleinen Schlingel schickt!

Hätt’ er geschickt mir einen Soldaten,

hässlich und dick und arrogant!

Der stolz auf seine Heldentaten,

hätt’ ich geleistet Widerstand!

Doch so ein Jüngelchen, noch grün,

dem seine Wangen rosa glühn,

jung und schön, kann man als Frau nicht widerstehn!

 

Ein kleiner Knirps, ein kleiner Knirps

Ein Knirps, der kommandiert euch rum!

Ein kleiner Knirps, ein kleiner Knirps

Der kommandiert, seid ihr so dumm?

 

Alle

Ein kleiner Knirps, ein kleiner Knirps

Ein Knirps, der kommandiert euch/uns rum!

Ein kleiner Knirps, der kommandiert!

Man führt euch/uns an der Nase rum!